Speakers' Corner
Ein Kommentar von Isabel Schulz
„Ich bin stolz, Deutscher zu sein!“ – diese Aussage löste vor nicht
allzu langer Zeit eine Grundsatzdiskussion darüber aus, ob es einem
Deutschen überhaupt gestattet sein kann, Nationalstolz zu zeigen.
Doch war es nicht längst überfällig, daß auch Deutschland Patriotismus
an den Tag legt? Oder wie lange hätten wir uns noch mit getrübter Miene
für unsere Vergangenheit, die doch für die meisten von uns so weit
zurückliegt, schämen sollen?
Nun endlich scheint es, als hätten wir das kollektive schlechte
Gewissen
abgelegt – dank sei König Fußball!
Durch die Funktion als Gastgeberland der Fußballweltmeisterschaft kehrt
frischer Wind in das Nationalgefühl der Deutschen ein: unzählige Autos
sind mit Deutschland-Fähnchen unterwegs, Deutschlandtrikots sind
ausverkauft, Häuser werden mit Wimpelketten geschmückt, in den
Schaufenstern liegen Deutschlandartikel in allen Variationen,
Fahnenhersteller müssen Überstunden einlegen, um dem Ansturm gerecht zu
werden. Erhobenen Hauptes zeigt der Großteil der deutschen Bevölkerung
Flagge – zu Recht!
Natürlich sind die typisch deutschen Tugenden, wie Ordnung und
Organisationstalent wichtiger Bestandteil für den Erfolg der
Weltmeisterschaft, doch auch neuentdeckte Eigenschaften, die man mit
dem Deutschen nicht unbedingt in Verbindung bringt, tragen maßgeblich
zu der überwältigenden Atmosphäre bei: Deutsche feiern nächtelang mit
ausländischen Fußballfans und tanzen zu brasilianischer Samba,
Polizisten sind in erster Linie Freund und Helfer, die sich von der
Stimmung mitreißen lassen, Sperrstunden werden aufgehoben - kurz
gesagt: den internationalen Fußballfans wird eine Bühne geboten, wie
sie besser nicht sein könnte. Das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“
oder die englische Version „A time to make friends“ trifft also voll
und ganz zu. Bessere Webung für Deutschland kann es wohl nicht geben.
Da sich nun auch noch unsere Nationalmannschaft von ihrer besten
Seite zeigt und sogar bei großen Fußballnationen hohe Anerkennung
findet, dürfen nun auch wir mit geschwellter Brust sagen: Wir sind
stolz, Deutsche zu sein!
Bleibt nur noch zu hoffen, daß es sich bei diesem neuentstandenen
Nationalgefühl nicht nur um eine kurze Phase handelt, so daß wir
weiter aus voller Seele singen können: „Blüh im Glanze dieses Glückes,
blühe deutsches Vaterland“!